Nicht mein richtiger Name

Artikel von Gerlinde Schuller


18. Juli 2022 . 5 min.

Johnny Weissmuller, besser bekannt als ‘Tarzan’, war einer von vielen deutsch-rumänischen Migranten, die in den letzten 150 Jahren Rumänien verließen. Er wird als Johann Peter Weißmüller geboren – am 2. Juni 1904 in Freidorf (Szabadfalu), im heutigen Timişoara (Temesvar, Temesvár), Rumänien, damals Königreich Österreich-Ungarn. Seine Familie gehört zur deutschen Minderheit der Banater Schwaben.

Johnny Weissmuller als Tarzan, 1940er Jahre
Foto: johnnyweissmuller.com


Als Folge der ereignisreichen Geschichte Rumäniens leben heute 18 staatlich anerkannte Ethnien im Land. Rumänien ist ein Vielvölkerstaat und, nach Russland, das europäische Land mit den meisten Minderheiten. Dies resultierte in einer komplexen Migrationsgeschichte.

Die deutschen Minderheiten und die Ungarn sind schon seit über 850 Jahren in Siebenbürgen angesiedelt. 1692 und 1786 lassen sich die ersten Banater Schwaben, eine Volksgruppe aus Deutschland und Lothringen in der Region um Temesvar nieder. Hierzu gehören auch die Vorfahren von Johnny Weissmuller, die sich um 1755 aus der Pfalz in Deutschland auf den Weg nach Ost-Europa machen.


Landkarte des Temescher Banat, F. J. v. Reilly, 1791
Schauplatz der fünf Theile der Welt, 1789/1806, Wien (AU)

Als Johnny 1904 in Freidorf geboren wird, gehört das Gebiet zur Monarchie Österreich-Ungarn. Die offizielle Landessprache ist Ungarisch und der Junge, dessen Eltern nur Deutsch sprechen, wird in dem römisch-katholischen Kirchenbuch als János Weiszmüller registriert. Von seinen Eltern wird er ein Leben lang Hansi gerufen.


Haus mit Gedenktafel in Freidorf, Temesvar (RO), an der Stelle an der das Geburtshaus von Johnny Weissmuller stand, 2009
Foto: Flavius Ignea


Politisch haben die deutschen Minderheiten wenig Freiraum. Die k.u.k.-Doppelmonarchie verfolgt eine strenge Assimilierungspolitik, die alle Nicht-Ungarn vollständig magyarisieren soll. Ein Grund für Peter Weißmüller und Elisabeth Kersch den Entschluss zu fassen, mit ihrem kleinen Sohn nach Amerika auszuwandern. Wie viele Migranten werden sie in ihrer Entscheidung dadurch bestärkt, dass bereits andere Familienmitglieder diesen Schritt gewagt haben. Elisabeth will zu ihren Eltern und ihrer Schwester ausreisen, die bereits in den USA leben und ihnen die Reise finanzieren.

Johnny und seine Eltern verlassen Europa an Bord der S.S. Rotterdam und kommen am 26 Januar 1905 in Ellis Island, New York an. Auch hier ist widerspruchslose Anpassung gefragt. Gleich bei Ankunft werden ihre deutschen Namen in die englisch klingenden Namen Peter, Elizabeth und Johann Weissmuller verändert.
Johann nennt sich später nur noch Johnny, das englische Äquivalent zu Hansi.


Registrierung der Familie Weissmuller bei Ankunft in den USA, 1905
Bild: genealogy.ro


Die Familie wohnt zunächst in Windber, Pennsylvania bevor sie sich 1908 in einem Viertel in Chicago niederlässt, in dem sich eine große Gemeinschaft von Banater Schwaben gebildet hat. Sie suchen Ihresgleichen und pflegen hier ihr deutsches Brauchtum. Es wird erzählt, dass der junge Johnny an diversen Jodelwettbewerben teilnimmt, die als Grundlage des, von ihm erfundenen, legendären Urwaldschreies dienen.

Johnny Weissmuller als professioneller Schwimmer, 1920
Foto: johnnyweissmuller.com


Im Michigansee entdeckt Johnny seine Liebe zum Wasser und entwickelt sich zum professionellen Schwimmer. Um im amerikanischen Nationalteam aufgenommen zu werden, gibt er Windber, USA als seinen Geburtsort an. Als erster Mensch überhaupt, absolviert er die 100-m-Freistil in weniger als einer Minute und wird zum amerikanischen Schwimmidol. Während der Olympischen Spiele in Paris (1924) und Amsterdam (1928) gewinnt er mehrere Medaillen. Als er die Goldmedaillen für die USA in Paris in Empfang nimmt, ist er jedoch noch nicht im Besitz der amerikanischen Staatsangehörigkeit. Die wird ihm später in aller Heimlichkeit zuerkannt. Er hat 19 Jahre gebraucht, um sie sich zu verdienen.


Johnny Weissmuller wird gemalt, ca. 1924
Foto: Pach Brothers Studio, National Portrait Gallery, Smithsonian Institution

Johnny Weissmuller trainiert im Schwimmbad De Houtvaart in Haarlem
für die Olympischen Spiele in Amsterdam (NL), 1928
Foto: Poppe de Boer, Noord-Hollands Archief
Olympische Spiele in Amsterdam (NL), 1928
Foto: johnnyweissmuller.com


Der Zufall will es, dass Johnny Weissmuller 1931 für den Film Tarzan, der Affenmensch gecastet wird. Die Rolle verlangt keine großen schauspielerischen Leistungen, aber eine sportliche Figur und ein Talent für abenteuerliche Stunts.

Johnny Weissmuller in Tarzan, der Affenmensch, 1932
Foto: johnnyweissmuller.com


Die Weltwirtschaftskrise, die durch den Börsenkrach an der Wall Street 1929 ausgelöst wurde, hat gerade ihren endgültigen Tiefpunkt erreicht. Viele Anleger sind hochverschuldet, die Arbeitslosigkeit ist in den USA und in Europa sprunghaft angestiegen. In diesen Krisenzeiten ist eine Kinokarte eine günstige Gelegenheit dem anstrengenden Alltag zu entfliehen. Folglich wird der erste Tarzan-Film, über einen primitiven Helden, der im Dschungel lebt, zum Kassenschlager.

Johnny Weissmuller spielt die Rolle des Urwaldmenschen, der sich von Liane zu Liane schwingt, 17 Jahre lang. Sie macht ihn weltberühmt.

Johnny Weissmuller führt seinen Tarzan-Schrei vor, 1940er Jahre
Foto: johnnyweissmuller.com

Johnny Weissmuller auf dem Flughafen Schiphol in Amsterdam (NL), 1970
Foto: Joost Evers/Anefo, Nationaal Archief

Die schwarz-weißen, mit rumänischem Untertitel versehenen Tarzan-Filme, werden auch in Rumänien im Kino gezeigt und später im Fernsehen ausgestrahlt. Sie sind, in den schweren Zeiten des Zweiten Weltkrieges und der kommunistischen Diktatur eine willkommene Abwechslung zu den eintönigen Propagandasendungen. Tarzan ist sowohl bei den Rumänen als auch bei allen Minderheiten sehr populär und wird für viele zur kollektiven Kindheitserinnerung.

Die deutschen Minderheiten in Rumänien mussten, wie Johnny, über viele Generationen hinweg willkürliche Namenswechsel akzeptieren. Die radikale Nationalitätenpolitik der Kommunisten und im Besonderen die von Nicolae Ceaușescu ab den 1970er-Jahren gleicht einer Zwangsrumänisierung. Deutsche Namen werden verrumänisiert – ‘Johann’ wird in amtlichen Dokumenten zu ‘Ioan’. Aussiedler können erst nach ihrer Emigration nach West-Europa wieder offiziell ihren deutschen Namen benutzen. In Rumänien gibt es bis heute Überbleibsel der historischen Nationalideologie. So regiert der Präsident Rumäniens Klaus Johannis, der zur deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen gehört, unter dem rumänischen Namen ‘Iohannis’.

Johnny Weissmuller verliert im Laufe seines Lebens den Bezug zu seinen deutsch-rumänischen Wurzeln. Im Alter von drei Jahren besucht er Rumänien ein letztes Mal. Er stirbt am 20. Januar 1984 in Acapulco, Mexiko. Weltweit ist er den meisten Menschen unter dem Namen ’Tarzan’ bekannt geblieben.

Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus von Johnny Weissmuller in Acapulco, Mexiko Foto: Stefan Habke



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