Kulturelles Erbe bewahren

Meine Inspirationsquellen
Gerlinde Schuller


7 Juni 2023 . 8 min.

Das kulturelle Erbe von Rumänien ist geprägt durch eine farbenfrohe, einzigartige Vielgestaltigkeit. Hervorgebracht wurde dies durch das Zusammenleben der Rumänen mit bis zu 18 ethnischen Minderheiten.

Traditionelle Handarbeiten aus der rumänischen Gemeinschaft
und verschiedenen ethnischen Gemeinschaften in Rumänien, ca. 1880-2023

Diese farbenfrohen Abbildungen belegen, dass Rumänien sich bereits vor Jahrhunderten zum Vielvölkerstaat entwickelte. Es ist nach Russland, das europäische Land mit den meisten Minderheiten. Zu ihnen zählen Ungarn, Roma, Deutsche, Armenier, Italiener, Bulgaren, Griechen, jüdische Gemeinschaften, lipowenische Russen, Kroaten, Albaner, Tataren, Ukrainer, slawische Makedonier, Serben, Ruthenen, Türken, Slowaken, Tschechen und Polen.

Achtzehn Ethnien sind heute als Minderheiten staatlich anerkannt und mit je einem eigenen Abgeordneten im Parlament vertreten. Verschiedene Gesetze stellen außerdem sicher, dass alle Minderheiten ihre eigene Sprache, Kultur und Religion bewahren können. Rumänien spiegelt Europa im Kleinen wieder.

Die Verteilung der Nationalitäten in Rumänien, 1919,
dokumentiert von dem französischen Geographen Emmanuel de Martonne.
Seine Karte spielte eine wesentliche Rolle bei der Festlegung der Grenzen von Rumänien, von denen die meisten noch heute bestehen.

Die Tatsache, dass sich soviele Ethnien über Jahrhunderte mit der Mehrheitsbevölkerung vermischt haben, ist ein Nährboden für die Vielgestaltigkeit von Traditionen. Sie kennen eine Vielzahl von regionalen und lokalen Ausprägungen und außergewöhnliche Verschmelzungen.

In der Vergangenheit wurde dies in Rumänien nicht immer als Bereicherung gesehen. Insbesonders in Zeiten von Krieg und Kommunismus wurden den ethnischen Minderheiten wenig Rechte zugestanden. Nach der Revolution, ab 1990, hat sich das Land jedoch eine Vorreiterposition auf dem Gebiet von interethnischen Beziehungen und Integration erarbeitet.

Eine neue Generation hat erkannt, dass die Identität der Minderheiten die Geschichtserzählung Rumäniens vervollständigt. Darunter gibt es Privatpersonen, Kulturschaffende und Organisationen die sich bemühen, dieses facettenreiche, kulturelle Erbe Rumäniens auf ihre Art zu schützen und weiterzugeben.

Zu meinen persönlichen Inspirationsquellen zählen Museen, Archive, Künstler verschiedener Disziplinen, Historiker, Ethnologen und Unternehmer. Einige von ihnen stelle ich in diesem Artikel vor.

Der Artikel ist der Übersicht halber nach Volksgruppen strukturiert.
In Wirklichkeit haben sie miteinander gelebt und sich gegenseitig beeinflusst.

Die Rumänen

Rumänische Bauern in traditioneller Kleidung
Bistrița Mountains, Rumänien (damals Moldawien), 1920er Jahre

Die Rumänen sind eine romanischsprachige Volksgruppe, die eine gemeinsame rumänische Kultur und Abstammung teilen.
Die letzte Volkszählung von 2021 ergab, dass sich knapp 89,3% der rumänischen Bürger als ethnische Rumänen bezeichnen.

Sowohl in der rumänischen Kultur, als auch in der der ethnischen Gemeinschaften die in Rumänien leben, spielen die Landwirtschaft,
die Naturverbundenheit und die Handwerke eine große Rolle.

Für viele Kreative ist die Lebenswelt der Bauern eine große Inspirationsquelle. Der Bildhauer Constantin Brâncuși (Hobița/RO 1876-Paris/FR 1957) gilt dabei als großes, historisches Vorbild. Sein Stil war von der rumänischen Volkskunst beeinflusst. Er führte die Technik der ‘direkten Schnitzerei’ ein, indem er Stein oder Holz unmittelbar und ohne künstlerische Vorlage bearbeitet. Außerdem entwirft er verschiedene Möbel, Haushaltsgeräte und Werkzeuge. Zusammen mit seiner bildhauerischen Kunst verschmelzen diese Gebrauchsgegenstände in seiner Pariser Werkstatt zu einer Einheit. Bis zu seinem Tod baute er sein Atelier zum Gesamtkunstwerk um.
Im Centre Pompidou in Paris kann man eine Rekonstruktion des Atelier Brâncuși besichtigen.

Selbstporträt im Atelier
von Constantin Brâncuși, Paris (FR), 1920-1922
Impasse Ronsin 11
Rekonstruktion des Atelier Brâncuși
von Renzo Piano Building Workshop (FR), 1992-1996
Frau in traditioneller Kleidung
Bistrița Mountains, Rumänien (damals Moldawien),
1920er Jahre

Der La Blouse Roumaine Gemeinschaft ist es zu verdanken, dass in 2022 die Kunst der traditionellen Bluse mit Schulterstickerei (altiță) in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde. ‘Altiță’ ist ein wesentlicher Bestandteil der rumänischen und moldauischen Volkstracht. Sie verbindet einen einfachen Schnitt mit reichen und farbenfrohen Verzierungen, die mit komplexen Nähtechniken aufgestickt werden. Die Stile und Techniken variieren je nach Region und die Bluse wird vollständig mit der Hand gefertigt.

Da die Republik Moldau nach dem Ersten Weltkrieg in Teilen zu Rumänien gehörte und erst seit 1991 ein eigenständiger Staat ist, ähneln sich die Traditionen sehr. Stela Moldovanu aus Chișinău (MD) errichtete 2018 die MăiestrIA-Gemeinschaft. Die Gruppe bietet Näh- und Stickkurse an, in denen man lernen kann, seine eigene traditionelle, rumänische Bluse zu sticken. Darüberhinaus schrieb Moldovanu MăiestrIA – povestea cusută a iei, eine umfassende Publikation über die Geschichte der rumänischen Bluse.

Stela Moldovanu trägt eine selbstgestickte
rumänische Bluse, 2022

Im Norden von Rumänien in dem kleinen Ort Vișeu de Jos, in der Maramureș (RO), bemüht sich Denis Năsui um den Erhalt der rumänischen Traditionen. Dafür stellt er, oft zusammen mit Andreea Șimon, Szenen aus dem Bauernleben nach. Gekleidet in handgenähter Bauerntracht klärt er begeistert über Bräuche und Trachten aus der Region auf. Um seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, studiert er mittlerweile Ethnologie.

1940 / 2022, Andreea Șimon und Denis Năsui

Octavia and Lucian Loiș sind als Architekten ausgebildet und arbeiten unter dem Namen ȘEZI (Sitz) in Hăpria, Alba county (RO). Für ihre skulpturalen Holzmöbel und Accessoires lassen sie sich von rumänischen Traditionen inspirieren und reinterpretieren traditionelle Symbole. So kann ein Detail eines antiken Stuhls sie dazu anregen, es zu vergrößern und daraus eine Wandskulptur zu machen. In dem Hotel Conacul Olarilor in Baia de Fier haben sie viele ihrer Ideen umsetzen können, da der Besitzer Mihai Olaru selbst, auch ein Liebhaber von rumänischem Brauchtum ist und versucht es auf kreative, zeitgenössische Art wiederzubeleben.

Eine Wandskulptur von ȘEZI,
die einem Detail (oben) des antiken Stuhls nachempfunden ist


Magyaren in Rumänien

Mädchen in ungarischer Tracht
Viştea, Siebenbürgen (RO), Jahr unbekannt

Die Magyaren stellen die größte ethnische Minderheit des Landes dar. Die Szekler formen dabei die größte Gruppe unter den Magyaren in Rumänien. Zwischen dem 13. Jahrhundert und 1867 fungierten die Szekler als Grenzwächter des ungarischen Königreiches und genossen wichtige Privilegien. Sie besaßen eine Autonomie in vielen Lebensbereichen und konnten dadurch ihre eigene Identität betonen. Bis heute ist das Jahrhunderte alte kulturelle Erbe der Magyaren in Trachtenkleidung, Objekten und Traditionen sichtbar.

Die Aussteuer der ungarischen Braut wird an ihrem Hochzeitstag
zur Schau gestellt, Viștea, Siebenbürgen (RO), 1931

Iren Orbán wurde in einem Dorf in Szeklerland (RO) geboren und obwohl sie über 90 Jahre alt ist, stickt sie immer noch für ihre Familie.
Ihre Wandteppiche mit gestickten Erzählungen aus dem Dorfleben sind eine visuelle Dokumentation ungarischer Traditionen.

Wandteppiche von Iren Orbán (RO)

Die Sammlerin und Händlerin Kath Griffiths begann schon vor zwanzig Jahren sich für ungarische Folklore zu begeistern und startete ihre Sammlung Parna (ungarisch für Kissen) für traditionelle Vintage-Textilien.
Zurzeit dokumentiert sie die letzten ungarischen ‘Aussteuerräume’ in der Region Calata (Kalotaszeg) in Westsiebenbürgen. In diesen Räumen wurde früher die Aussteuer der Braut präsentiert. Dazu gehörten selbstgewebte Textilien, selbstgeschneiderte Kostüme, bemalte Keramiken und Truhen, bestickte Tücher und Kissen.
Kath Griffiths bietet auch Folklore-Touren an, bei denen man sich die ungarischen Einflüsse in Siebenbürgen selbst ansehen kann.

Traditioneller Aussteuerraum einer ungarischen Braut,
dokumentiert von Kath Griffiths
Ungarische Kirche in Rumänien

Die Kirche in Bákó (Bacău, RO) füllte sich 2019 mit Mitgliedern der Csángó-Gemeinschaft (ungarische ethnische Minderheit in Siebenbürgen), nachdem die römisch-katholische Diözese Jászvásár nach fast 30 Jahren endlich erlaubt hatte, eine ungarischsprachige Messe abzuhalten. Seit dem Sturz des kommunistischen Systems durfte diese ungarische Volksgruppe nur zu rumänischen Messen gehen. Die Gleichstellung der ethnischen Minderheiten in Rumänien ist im täglichen Leben noch nicht selbstverständlich.

Gottesdienst in der ungarischen Kirche in Bákó (RO), 2019
Feldflasche hergestellt von Szeklern,
Székelykeresztúr (Cristuru Secuiesc), Harghita (RO), 1885

Romani in Rumänien

Roma-Kinder vor ihrem Wohnwagen
Europa, 1930er Jahre

Die Romani (umgangssprachlich als Roma bezeichnet) sind, nach den Ungarn, die zweitgrößte ethnische Minderheit in Rumänien. Linguistische Belege zeigen, dass ihre Wurzeln in Indien liegen und sie im 13. Jahrhundert auf den Balkan kamen. In Rumänien wurden die Roma, vor allem in Lehensgütern, jahrhundertelang als Sklaven gehalten.

Das Leben der Romani wurde lange Zeit vor allem von ausländischen Reisenden dokumentiert. Ihre Geschichte wird noch heute kaum in offiziellen Geschichtsbüchern erwähnt.

Porträt eines Roma-Mannes, Kronstadt (RO)

Die Schauspielerin und Regisseurin Alina Șerban, selbst in einer Roma-Familie geboren, thematisiert in ihren Projekten die lange verschwiegene Geschichte ihrer Gemeinschaft in Rumänien.
Mit Bilet de iertare (Brief der Vergebung, 2020) produzierte sie einen Kurzfilm über den Sklavenhandel mit Roma im 19. Jahrhundert.

In ihrem autobiographischen Theaterstück Cel mai bun copil din lume (Das beste Kind der Welt, 2022) zieht Șerban sich eine ‘Krähen’-Maske auf als Anspielung auf dieses abwertende Wort für ‘Roma’. Dokumentarfotograf Bogdan Dincă machte davon eine faszinierende Fotoserie. Mit ihrer eigenen Untold Stories Artistic Company erzählt Alina Șerban unbekannte und unbequeme Geschichten über Roma, um deren Diskriminierung anzuprangern, mit dem Ziel sie hinter sich zu lassen.

Cel mai bun copil din lume
von Alina Șerban, Nationaltheater Bukarest, 2022

Der Bukarester Fotograf Dragoş-Radu Dumitrescu dokumentierte sieben Jahre lang das Leben einer Roma-Familie in der Nähe des Bahnhof Nord. Nachdem er 2013 zufällig deren Unterkunft entdeckte, wurde er mehrmals eingeladen wieder zu kommen, bis sie 2020 vertrieben wurden. Dumitrescu taucht in ihre Lebenswelt ein – einst nomadisch, sind die Roma gezwungen sich den urbanen Mechanismen anzupassen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Trotz allem haben sie ihre Leidenschaft für ihre Traditionen behalten. Dumitrescu zeigt ihren fragilen Alltag in einer beeindruckenden Langzeitdokumentation.

Dokumentation einer Roma Familie, Bahnhof Nord Bukarest (RO)
von Dragoş-Radu Dumitrescu, 2013-2020

Dragoş-Radu Dumitrescu ist fasziniert von dem grenzenlosen Freiheitsgefühl das manche Roma wertschätzen. Er lernt auch eine Roma-Familie kennen, die im Văcăreşti-Bezirk am Rande von Bukarest lebt, einem Sumpfgebiet, das Ende der 1980er Jahre entstanden ist. Es ist ein Ökosystem mit einer Tier- und Pflanzenwelt, die jener eines Deltas ähnlich sind. Seit mehr als 15 Jahren wohnt die Familie hier, mittellos, in selbstgebauten Hütten, aber in Harmonie mit der Natur. Sie ziehen die Isolation dem durchgetakteten Stadtleben vor.

Dumitrescu fängt die Härte und die Besonderheit dieses Daseins in der unberührten Natur in rätselhaften Schwarz-Weiss Bildern ein.
Seine Dokumentation kommt zwangsweise zu einem Ende als die rumänische Regierung 2016 beschliesst dem Văcăreşti-Areal den Status eines geschützten Naturgebiets zu verleihen und die dort lebenden Obdachlosen nach und nach zwangsumgesiedelt.

Dokumentation einer Roma-Familie im Văcărești-Areal, Bukarest (RO)
von Dragoş-Radu Dumitrescu, 2013-2020

Siebenbürger Sachsen in Rumänien

Siebenbürgisch-sächsische Bäuerin
Lechnitz, Siebenbürgen (RO), ca. 1935

Die Siebenbürger Sachsen durchquerten Europa im 12. Jahrhundert und zogen vom Mittelrhein nach Siebenbürgen (heute Rumänien), wo sie in den vergangenen 800 Jahren ein umfangreiches kulturelles Erbe aufbauten. In den 1990er Jahren kam es zu einem Exodus dieser ethnischen Minderheit nach Westeuropa. Der Großteil ihres materiellen Kulturerbes blieb in Rumänien zurück.

Siebenbürgisch-sächsische Tracht
aus der Region Mediasch/Schäßburg (RO),
genäht von Annemarie Thies, 2023
Brautpaar aus Kleinschelken (RO), 1950er Jahre
Brautpaar (KraftMade) aus Großschenk (RO), 2022

In ihrem Studio KraftMade übertragen Marlene und Alex Herberth alte Weisheiten und Techniken in eindrucksvolle, performative Objekte. Beide haben siebenbürgisch-sächsische Wurzeln und integrieren
dieses Kulturerbe vielfältig in ihre Projekte. KraftMade arbeitet interdisziplinär und kombiniert dazu Wissensvermittlung, Restaurierung und Kuratortätigkeiten miteinander.

Alex Herberth in seiner Werkstadt
und sein Common Table in der Ausstellung Impatiens Tremens,
kuratiert von Marlene Herberth und Elena Viziteu Ionescu,
Romanian Creative Week, 2023

Die siebenbürgisch-sächsische Textilkünstlerin Lilian Theil aus Schäßburg (RO) verarbeitet in ihren ‘Fetzenbildern’ autobiografische und historische Themen. Sie zeigt die Deportation der Siebenbürger Sachsen zu Zwangsarbeiten in die Sowjetunion 1945 oder deren Exodus in den 1990er Jahren.
Die Kuratorin Raluca Ilaria Demetrescu stellte 2021 eine großartige Übersichtsausstellung der Künstlerin im Rahmen der Art Safari Bukarest zusammen.

Fetzenbilder von Lilian Theil
Art Safari Bukarest (RO), 2022

Der Vater von Katharina Wagner-Birtwistle war ein Siebenbürger-Sachse, der nach seiner Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg in Großbritannien verblieb. Als Kind verbringt Katharina ihre Sommerferien in Apold in Siebenbürgen, wo sie auf Wiesen spielt und mit ihrer Oma Seife macht. Diese Erlebnisse inspirieren sie 2018 dazu, ihre Firma Apoldapothecary zu gründen, in der sie natürliche Seifen mit Duftnoten aus Siebenbürgen herstellt.

Katharina, die Oma von Katharina Wagner-Birtwistle
steht hinten, rechts von ihrem Mann Michael
Apold, Siebenbürgen (RO), 1928
Von Katharina Wagner-Birtwistle hergestellte Seife im Kaltverfahren,
die Methode, die auch ihre Oma in Siebenbürgen anwendete.

Juden in Rumänien

Moni Gelehrter bei seiner Bar Mitzwa
Iași (RO), 1918

Die Geschichte der Juden in Rumänien ist geprägt durch ein Auf und Ab ihrer politischen Rechte. Formal erhielt die jüdische Gemeinschaft 1859 eine verfassungsmäßige Gleichberechtigung im Fürstentum Rumänien. In 1876 wurde in Iași sogar das erste jiddische Theater in Europa gegründet. Danach wurden die Rechte der Juden immer weiter beschnitten. Im Zweiten Weltkrieg wurden in Zusammenarbeit mit dem NS-Regime rund 350.000 Juden getötet. Eine öffentliche Aufarbeitung der rumänischen Beteiligung am Holocaust ist noch in vollem Gang.

Veronica und Imre Salamon, Valea-lui-Mihai (RO), 1937
Nach dem Holocaust kehrte Veronica als eines der
wenigen jüdischen Mädchen ihrer Schule zurück.
Tempel der Handwerker, 2023
Die einzige von 28 Synagogen in Galați,
die den Lauf der Geschichte überlebt haben.

Das jüdisch-historische Museum Muzeon in Cluj-Napoca leistet einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung an die jüdische Gemeinschaft in der Stadt und im Land. Ausgehend von dem Archiv der jüdischen Familie Lusztig, stehen in einer faszinierenden Ausstellung ‘persönliche Geschichten’ im Vordergrund. Die Gründerin des Museums Flavia Craioveanu hat mit Hilfe eines hochprofessionellen Teams ein immersives Ausstellungserlebnis entwickelt. Dazu tragen die technischen Finessen von Dan Craioveanu, die eleganten Grafiken von Cătălina Nistor, das symbolträchtige Ausstellungsdesign von Atelier MASS und die erstklassigen Fotos von Lieven Gouwy bei.

Austellungsräume des jüdisch historischen Museums Muzeon,
Cluj-Napoca (RO), 2019-2020

Der Verein für das Kulturerbe der Maramuresch erinnert in kulturellen Projekten an die Juden in Baia Mare und Umgebung. Der Initiativnehmer Robert Cotos ist ein leidenschaftlicher Erzähler, der es wichtig findet, die Einheimischen über diese vergessene Geschichte aufzuklären.

Die jüdische Familie Fried
Satu Mare, Maramuresch (RO), 1929

Türken in Rumänien

Ihre Geschichte beginnt Mitte des 16. Jahrhunderts als das Osmanische Reich die Kontrolle über das heutige Rumänien erlangt, einschließlich der Fürstentümer Moldawien, Walachei, Siebenbürgen und Banat. Bis heute gibt es eine türkische Minderheit in Rumänien, die vor allem in der Region Dobrudscha in der Nähe des Schwarzen Meeres in den Kreisen Constanța und Tulcea lebt.

Türkische Frauen in traditionellen Kostümen
Dobrudscha (RO), 1930er Jahre
Türkische Familie aus Hârșova,
Dobrudscha (RO), 1930er Jahre

Eines der wichtigsten türkisch-kulturellen Monumente in Rumänien ist die Carol-I.-Moschee in Constanța. Sie wurde von dem rumänischen König Carol I. als Tribut an die damals sehr große muslimische Gemeinde in der Stadt errichtet und 1913 von ihm persönlich eingeweiht.

König Carol I. und Königin Elisabeth bei der Einweihung
der Carol-I.-Moschee, Constanța (RO), 1913

Letzte Erinnerungen an Ada-Kaleh, eine Binneninsel in der Donau, deren türkische Bewohner ab 1968 wegen des Baus eines rumänisch-jugoslawischen Kraftwerks zwangsumgesiedelt wurden. Später wurde die Insel mit all ihren Dörfern durch den Rückstau des Kraftwerks überflutet.

Ada-Kaleh (RO), 1964

Die Türkisch-Demokratische Union Rumäniens ist die einzige, von der rumänischen Regierung anerkannte Organisation, die von ethnischen Türken, die rumänische Staatsbürger sind, geführt wird. Ihr Hauptziel ist es, die ethnisch-kulturelle, sprachliche und religiöse Identität der türkischen Minderheiten im Land zu schützen und zu fördern. So wird, wie auch in der Türkei, der Tag der Jugend und des Sports zur Erinnerung an Mustafa Kemal Atatürk am 15. Mai groß gefeiert.

Tanzgruppe in traditioneller türkischer Kleidung
am Tag der Jugend und des Sports, Constanța (RO), 2023

Der Dokumentarfotograf Florin Ghebosu macht eine eindrucksvolle Reportage über die türkische Gemeinschaft in der Dobrudscha (2017-heute). Er fotografiert unter anderem in der Gemeinde Dobromir, wo die Mehrheitsbevölkerung Muslim ist. Seine Photos geben Einblicke in einen mittellosen aber farbenfrohen Alltag.
Bevor er anfing die Menschen dort zu fotografieren, erzählte er ihnen von seiner Arbeit und zeigte ihnen seine Reportagen. Diese ehrliche Annäherung ist die Grundlage auf der Ghebosu es schafft, unbeschönte, oft intime Porträts zu machen. Mittlerweile kennt er manche Familien dort so gut, dass er regelmäßig zurückkehrt und sich sein Projekt zu einer Langzeitreportage entwickelt hat.

Dokumentation der türkischen Gemeinschaft in Dobromir (RO)
von Florin Ghebosu, 2017-heute


Der Artikel präsentiert eine überschaubare, persönliche Auswahl von Personen und Organisationen, die sich mit dem Erhalt des kulturellen Erbes in Rumänien ausseinandersetzen. Auch die Minderheiten, auf die ich in diesem Artikel nicht eingegangen bin, tragen einen wesentlichen Teil zur Belebung dieses materiellen und immateriellen Kulturerbes bei.

In der Vergangenheit haben die verschiedenen Volksgruppen ihre Kultur sehr abgeschieden voneinander gepflegt. In den letzten Jahrzehnten nahm das Interesse aneinander erfreulicherweise zu.
Diese Wechselwirkung führt nicht nur zu nachhaltigen, sozialen Interaktionen, sondern fördert auch einen ehrlicheren Umgang mit der rumänischen Geschichte. Nur so kann der wahre Wert dieses komplexen, kulturellen Erbes erkannt werden. Dessen Erhaltung ist eine Gemeinschaftsarbeit.



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